Es war im Jahr 2008. Wir waren jung, wir waren fit, wir radelten das erste Mal mit Freunden über die Alpen. Ein großartig geplanter, sehr anspruchsvoller Alpencross.
Es verging einige Zeit. Die war natürlich gefüllt mit vielen tollen (Rad-) Reisen.
Dann kamen die Kinder. Und mit den Kindern die Kommentare unserer Freunde: „Nun, jetzt wird sich einiges ändern. Solche Urlaube könnt ihr ja nun nicht mehr machen!“
Schon damals staunte ich über diese vorschnelle Prophezeihung und dachte mir „warum eigentlich nicht?“
Als dann eine weitere Alpenüberquerung im Raum stand und mir meine Freunde deutlich machten, dass ich mit Stillkind ja wohl nicht fit genug sei, verstand ich sie zwar, aber war gleichermaßen enttäuscht. Und in dem Moment erwachte mein Trotz, und ein neues Ziel: warum eigentlich nicht? Wir hatten Zeit, wir hatten ein bißchen Mut, aber auch ein paar Bedenken. Über die Alpen wäre immer nur eine von uns geradelt, der andere hätte die Kinder bespaßt und am Folgetag hätten wir gewechselt. Nun mußten ja irgendwie alle vier mit auf den Weg. Till war mit seinem guten halben Jahr aber noch nicht trailgeeignet. Und unser Hänger sowieso auch nicht richtig. Also brauchten wir eine Alternative.
Wir radelten vom Bodensee zum Chiemsee. So waren die Berge wenigstens in Reichweite. Ein Reiserad, ein Hänger mit zwei Kindern und ein E-Bike. Soweit so gut. Das mit dem E-Bike stellte sich nicht als „unser Ding“ heraus. Die Reichweite war zwar mit 60km/1000hm in Ordnung, aber wenn wir dann doch mal mehr brauchten, war es beinahe unfahrbar. Außerdem waren wir mit Zelt und Kocher autark unterwegs, wenn da nicht jeden Abend die Stromversorgung wäre. Wir wollten wieder unmotorisiert unterwegs sein.
Zwei einspurige Hänger waren die Lösung und nach einer kleinen Proberunde im nächsten Frühjahr durch Odenwald und Taunus, lag der nächste Schritt nicht fern:
Im Juni hatten wir 10 Tage Urlaub. Ich begann also nach Routen zu suchen.
Als Start und Endpunkt waren Garmisch und der Gardasee schnell gefunden, zwar reizte mich eine östlichere Routenwahl, aber der vorgegebene Zeitrahmen und die Zeit, die mir abends zum Planen blieb, gaben das nicht her.
Nun blieben noch genug offenen Fragen: Fernpass oder Marienbergjoch, von Zweiterem hatte mir ein Freund abgeraten, zu steil sei der Anstieg. Na gut, Fernpass soll ja auch schön sein. Dann, weiter, ab Imst dem Inntal zu folgen, erfüllte mein Gemüt nicht mit Frohlocken. Als einzig fahrbare Alternative fand ich spontan aber nur die Pillerhöhe. Asphalt. Das war auch nicht ganz meine Idealvorstellung, aber Kompromisse muss man mit Kindern wohl machen.
Wie kommt man autofrei über den Reschenpass? Zumindest dieser Punkt klärte sich leicht. Kurz über Martina in der Schweiz über einen Forstweg in zwei, drei Kehren hoch nach Nauders und dann dem Radweg folgen. Im Etschtal wollte ich aber nun auch nicht zu lange radeln, schließlich stand mir der Sinn nach einem Alpencross, und nicht nach einer Radtour durch Inn- und Etschtal. Ab Naturns wollte ich wieder in die Berge. Zu der Auffahrt aufs Vigiljoch fand ich reichlich Information im Internet, die Abfahrt bereitete mir planerisch mehr Kopfzerbrechen. Ist ja prima, dass es eine ganze Menge großartiger Trails geben soll, aber kommen wir die auch mit Hängern runter? Außerdem sollten die uns auch nicht zu weit ins Ultental hineinbringen, denn das Rabbijoch, wenn auch sehr lohnend, stand nicht auf meiner „mit - Hängern - fahrbar - Liste“, und schon gar nicht Mitte Juni. Die Literatur ergab für mich Hofmahdjoch, Forstwege und Trails, einzig ca. 5km auf der Talstraße müssten wir in Kauf nehmen. Viel mehr wußte ich darüber nicht.
Mittlerweile blieb mir kaum Zeit zum Planen, darum standen die letzten Etappen schnell fest. Über Cles und den Molvenosee. Aber vielleicht könnte man das Asphaltband ja über einige Brenta- Bike- Strecken etwas aufpeppen. Soviel zur Theorie.
Es ist das Jahr 2018. Wir sind nicht mehr jung, nicht mehr ganz fit und radeln das erste Mal mit zwei Kleinkindern über die Alpen. Ein geplanter, (fahrtechnisch) nicht sehr anspruchsvoller Alpencross:
Das Wetter spielte nach seinen eigenen Regeln, es hatte viel und ausgiebig geregnet, unser Startwochenende fiel auch noch mit dem Zugspitzlauf zusammen. Außerdem hatte uns die Touristeninfo in Garmisch am Telefon gesagt, dass die Wege um den Eibsee so matschig seien, dass wir gar nicht durchkämen. Schon war ich wieder unsicher. Sollten wir uns das überhaupt zutrauen?
Dann kamen wir viel später zu Hause los, als wir dachten. Die Wettervorhersage wurde nicht besser. Kurzerhand verlegten wir unseren Startpunkt nach Leermos. So waren wir zumindest der Wettervorhersage einen Tag südlich voraus.
Tag 1
Mit Kindern ist vieles anders. Wir radeln gegen elf Uhr los. Und wir haben nicht getrödelt.
Das Wetter ist toll, wir radeln gemütlich auf der Via Claudia Augusta dem Fernpass entgegen.
Auch ein guter Plan muß Platz für Veränderungen lassen, die Auffahrt zum Marienbergjoch sieht eigentlich ganz gut aus. Die ersten Kehren sind moderat, aber die letzten 300 Höhenmeter zwingen zumindest mich und Moritz immer wieder zum Schieben. „Mama, schaffen wir das?“ wird zur wichtigsten Frage der Woche. Tapfer läuft er neben mir her, oder hilft, seinen Hänger zu schieben.
Aber was ist schon eine Alpenüberquerung ohne Schiebepassagen?
Nicht nur auf dieser Hütte gibt es einen fabelhaften Spielplatz und Pommes und Limo lassen auch die Kinderaugen strahlen.
Tag 2
Gut ausgeruht starten wir von Arzl in Richtung Pillerhöhe. Diese Etappe überzeugt mich nicht. Hat sie schon bei der Planung nicht. Aber durchs Inntal zu radeln, kommt nicht in Frage. Zu Beginn können wir einem Radweg folgen, aber zu früh ist die Asphaltstraße alternativlos.
Wir sind an einem Sonntag unterwegs und teilen uns die Straße mit einer Oldtimerausfahrt. Wenigstens sind die Wagen hübsch, die uns überholen.
Kurz vor der Passhöhe ist ein nettes Wasserbecken. Zumindest dem Kleinen macht das eisige Wasser nichts aus und oben toben nicht nur die beiden Jungs auf dem tollen Spielplatz am Kaunergrathaus, und die Abfahrt über steile Wiesen macht Spaß.
Tag 3
Wir verlassten Pfunds einigermaßen früh (das bedeutet kurz nach neun) und radeln kurz auf dem Inntalradweg, auf Straße, in die Schweiz. Straße ist in diesem Fall aber halb so wild. Wir treffen mehr Reiseradler als Autos. Das Tal ist hier eng, die Wände ragen steil um uns herum auf. Es gefällt uns gut. Ca. zwei Kilometer nach Martina führt uns ein Forstweg mäßig steil durch den Wald nach oben.
Über diesen Abschnitt habe ich im Internet nur sehr wenig Informationen bekommen und bin etwas nervös, ob der Weg für uns fahrbar sein würde. Das steilste Stück ist durch einen Tunnel entschärft, gemütlich radeln wir auf der ruhigen alten Straße.
Zwischendurch gibt es, wie meistens, eine kleine Pause. Blumen gucken, Steine auf Stöcke stapeln, was man als fast Vier- und gerade Einjähriger halt so macht.
Oben, der Grenzübertritt zurück nach Österreich ist klar erkennbar: Dort, wo der Weg aufhört und sich ein kleiner Pfad durchs Gebüsch schlängelt. Erst hier, kurz vor Nauders, treffen wir auf die ersten Wanderer. Der Rest des Tages ist schnell erzählt, Radweg am Reschensee entlang und dann lange bergab bis Mals.
Tag 4
Wir rollen gemütlich durchs Apfelland Etschtal und genießen den heißen Tag in unserer Unterkunft mit Pool in Naturns.
Die Kinder genießen den Ruhetag, wir spielen und Platschen, und sortieren die kommenden Tage.
Tag 5
Eigentlich wollten wir auf der Naturnser Alm übernachten, aber am Telefon sagte man mir, das ginge nicht, und verwies mich an die Mausloch Alm. Hier sind wir willkommen! Also müssen wir nur noch die 1400 Höhenmeter aufwärts! Das ist schneller erledigt als gedacht, und so bleibt uns viel Zeit zum Spielen auf der sehr kinderfreundlichen, gemütlichen Alm.
Tag 6
Gewitter sind angekündigt, aber wir müssen ja weder hoch noch weit. Darum frühstücken wir auch erst einmal in aller Ruhe. In leichtem Auf und Ab rollen wir zum Vigiljoch. Ab jetzt müssen wir nur noch bergab. Wir spielen mehr, als wir fahren.
Immer wieder finden wir auf unserer Tour großartige Spielplätze, heute ist es eine Hotelterrasse mit Sandparadies für Kinder, so kommen auch unsere beiden Jungs voll auf ihre Kosten, und steigen bereitwillig immer wieder in die Hänger ein. Wir bremsen uns anschließend die steilen Rampen hinunter ins Ultental und dort gewittert es dann tatsächlich auch noch kurz.
Tag 7
Wir verwerfen den Plan mit dem Hofmahdjoch. Zuviel Verkehr auf der Talstraße, Und nach langem Blick auf die Karte stelle ich fest, dass man auf den Gampenpass auch fast ohne Straße kommt. Der Radweg ist super. Wir radeln von St. Pankraz aus einsam auf eine Hütte, danach kommen kurze Schiebestücke und einmal müssen wir einen Zaun abbauen. (Wir haben ihn natürlich wieder aufgebaut, als wir die Gespanne durchgeschoben hatten.) Die letzten zwei Kilometer auf der Straße sind so unattraktiv wie befürchtet, aber auch schnell vorbei. Das leichte bergauf und bergab, das uns den Rest des Tages begleitet, ist sehr schön, aber auch sehr anstrengend. Wir kommen nicht so weit, wie gehofft. In Revo finden wir eine Herberge. Für uns ist das der erste Ort, in dem kein Deutsch mehr gesprochen wird!
Tag 8
Die Etappe zieht uns alle Kraft aus den Beinen. Der Versuch, einem besseren Weg als die Straße zu finden, führt nur dazu, dass wir die Räder unfassbar steil eine Stunde lang bergauf stemmen. Auch mit Moritz Hilfe schaffe ich es nicht, den Hänger mit dem Einjährigen drin zu schieben. Wir brauchen zwei Erwachsene, und an Umdrehen ist bei dem Gefälle auch nicht zu denken!
In Pormaggiore stärken wir uns erst mal mit einer guten Nudelportion. Und dann geht es wider Erwarten erst einmal 300 frustrierende Höhenmeter bergab. Die Laune ist bei Null. Aber es hilft ja nichts. Wir kämpfen uns immer höher. Die steile Betonrampe ist nicht immer fahrbar. Nach dem längsten Tag der Tour kommen wir erschöpft am schönen Molvenosee an, und schließen den Tag verdient mit Pizza am See ab.
Tag 9
Ja, es geht noch einmal bergauf. Auch mit Schieben. Ein netter Trail, dann ein Waldweg, dann 12 Kilometer leicht wellig, und dann folgt er endlich: Der Absturz ist Tal! Die letzten Hügel durch eine mediterran anmutende Felslandschaft und wir stehen am Ziel! Der Gardasee ist erreicht.
Nach einem Tag am See erwarten uns noch 23 einfache Kilometer nach Rovereto und von dort bringt uns der Eurocity zurück.
Was können wir nun zusammenfassend über ein solches Unterfangen berichten? Bringt Zeit mit!
Grob radeln wir zwischen 20 und 50 km am Tag, mit wünschenswerten 1000hm. Das klappt nicht immer. Es werden dann in der Realität bis zu 1600hm. Wir haben versucht, unsere Kinder als Teil der Reisegruppe mit einzubeziehen. Das bedeutet, dass sie, wenn nötig, mithelfen müssen zu schieben, aber auch, dass sie reichlich Spielezeit bekommen und beispielsweise Pausenplätze selbst aussuchen können. Bäche, Tümpel, aber auch Kletterfelsen laden reichlich zum Toben ein. Die Hütten, Almen, und auch die Herbergen im Tal bieten fast alle Kinderspielplätze und Trampoline.
Wir haben uns für einen moderate Route entschieden. Wir wollten möglichst mit 4:30 Stunden im Sattel unser Tagesziel erreichen. Das hat auch meist geklappt. Und, wenn möglich, nur ein Berg am Tag. Es ist nicht schwer, die Kinder zu motivieren, einen langen Anstieg zu schaffen. Noch besser, wenn es oben Pommes gibt.
Was sich für uns als hilfreich erwiesen hat, sind Bluetooth Boxen. Klein und leicht passen sie in jeden Hänger und im Ernstfall helfen Hörspiele und Musik herrlich dabei, noch die letzten Kilometer zur nächsten Unterkunft ohne Gemecker zu überstehen.
Das waren nun 400 Kilometer mit fast 9000 Höhenmetern. In neun Tagen. Alpenüberquerung mit Kleinkindern? Klar! Geht! Und macht (meistens) sogar Spaß!
Jane Schmahl
Für die Statistiker unter euch
- Specialized Stump Jumper, Antrieb XT 3/9 fach, Avid Scheibenbremse, zieht einen Weehoo Hänger mit fast 20kg Kind drin.
- Rose Hardtail, Antrieb XT 3/9 fach, Shimano XT Scheibenbremse, zieht einen Tout Terrain Hänger mit ca. 12kg Kind drin.
- Jeder Erwachsene trägt einen Rucksack und eine Lenkerrolle.
Etappen
- Leermos- Arzl 43km /1150hm
- Arzl - Pfunds 40km / 1000hm
- Pfunds - Mals 54 km / 1050hm
- Mals - Naturns 50km / 170 hm
- Naturns - Mausloch Alm 16km / 1400hm
- Mausloch Alm - St. Pankraz 24km /400hm
- St. Pankraz - Revo 43km /1400hm
- Revo - Molveno 53km / 1550hm
- Molveno - Riva 50km / 650hm