Jakobs Kletterreise zwischen Kelten, Kalk und Brexit
Vergangenes Frühjahr begab ich mich auf eine dreimonatige Reise. Als treue Begleitung an meiner Seite, mein roter Opel Kadett Baujahr 91. Der Hintergrund für dies Unternehmen ist einfach zu Beschreiben. Mit dem Abi in der Tasche und wenig Lust, direkt auf die nächste Lehrbank zu rutschen, gab es für mich keine andere Option, als dem Rheintal zu entfliehen und mich auf die Suche nach Abenteuer zu begeben.
Der ein oder andere wird wohl schmunzeln, wenn ich nun erzähle, dass mein Ziel nicht etwa die zahllosen Klettergebiete im Süden Frankreichs oder Spaniens waren. Nein, ich fuhr in die entgegengesetzte Richtung, nach England. An dieser Stelle wird sich der aufmerksame Leser mit Sicherheit eine Erklärung wünschen, weshalb ich denn Aussichten auf sonnige Zeiten im Süden mit Schmuddelwetter bei Ale trinkenden Walisern eintauschen wollte. Nun, das verdanke ich wohl in erster Linie meinem Vater. Er schenkte mir zum 13 Geburtstag das Buch Rockgod von Jerry Moffat, einer englischen Kletterlegende der 80er und 90er Jahre. Seitdem faszinieren mich die Erzählungen spektakulärer und riskanter Klettereien rund um die Insel und manch ein Rutenname wie MastersEdge hat sich fest in mein Gedächtnis eingebrannt.
Von sonnigen Tagen an der Südküste zu regnerischen Wochen in Wales
Mein erster Stopp bei den Briten trotzte, allen Erwartungen entgegen, sämtlichen Klischees. Portland, eine Halbinsel an der Südküste Englands in der Region Dorset, zeichnet sich durch absolut herausragende Sportklettereien an grandiosem Kalk aus. Nicht umsonst ist Portland-Stone weit und breit bei Steinmetzen für seine Qualität bekannt. Zudem begrüßten mich hier absolut strahlender Sonnenschein und perfekte Temperaturen zum Klettern. Ich konnte mein Glück kaum fassen, geschweige denn zu diesem Zeitpunkt wertschätzen!
Als alleine Reisender meint man natürlich immer, das unglückliche Los gezogen zu haben, da man auf andere Kletterer angewiesen sei. In meinem Fall musste ich jedoch feststellen, dass es (zwingendermaßen) eine großartige Möglichkeit ist mit anderen Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen.
Mein Glück war es, eine Gruppe von Studenten aus Oxford zu treffen, die mich herzlich bei sich aufnahmen. Über die folgenden Tage konnte ich mich so nach Lust und Laune an den Imposanten Cliffs austoben und wurde zum Überfluss noch zu meiner ersten Portion Fish´n Chips eingeladen. Zwar fehlt es in Portland an so richtig schweren Routen, bis 8a gibt es dafür aber alles in rauen Mengen und zudem absolut Lohnenswert.
Zudem klettert man permanent mit grandiosem Ausblick aufs Meer und sieht an klaren Tage bis nach Frankreich.
Sonnige Tage und viele Klettermeter haben natürlich einen rapiden Hautverlust an den Fingerkuppen zur Folge und so zog ich schweren Herzens weiter. Hätte ich gewusst was für Wetter mich in den nächsten Wochen erwarten sollte, wäre ich wohl noch geblieben.
Doch mich dürstete es unaufhörlich nach Neuem, und mein Entdeckergeist zwang mich spätestens nach einer halben Woche weiterzuziehen. Schließlich wollte ich meine Reise so facettenreich wie möglich ausleben und so viel wie möglich sehen.
Nach einem Stopp in Bristol und Cardiff öffneten sich mir die Weiten der Walisischen Landschaft. Der Brecon Beacons National Park bietet zwar keine Möglichkeit zu klettern, dafür aber beeindruckende Wanderungen. Davon überzeugte ich mich zu genüge bei einer Tagestour auf den Pen y Fan, dem höchsten Gipfel der Bergkette. Weitreichende Graslandschaften, uralte Buchen und Felder von Vergissmeinnicht ließen die Gegend geradezu Märchenhaft erscheinen.
Mein nächster Kletterstopp sollten eigentlich die Felsen von Tremadog im Snowdonia National Park sein. Unterwegs holte mich jedoch das schlechte Wetter ein. Regen sollte ab sofort an der Tagesordnung sein. Nach einem wirklich starken Kaffee fuhr ich notgedrungen bis an die Nordküste. Im Dauerregen erreichte ich so Llandudno.
Llandudno ist ein kleines, touristisches Städtchen am Meer. Doch unweit des Trubels findet man herrliche Kalkklippen, welche teilweise nur bei Ebbe zu erreichen sind. Legendäre Routen wie Statement of Youth (8a+) oder Equinox (8c) befinden sich hier und stellen absolute Meilensteine des britischen Sportkletterns dar.
In meiner Not und Frustration dem Dauerregen zu entkommen, steuerte ich jedoch zielstrebig auf Parisellas Roof zu. Diese Höhle ist legendär, weithin bekannt und so gut wie immer trocken. Das hatten wohl auch die 20 anderen Kletterer im Sinn, die ich in der Höhle traf. Kaffee kochend, fluchend, rauchend und laut lachend fand ich diese Gesellschaft vor, welche offensichtlich alles tat, außer zu klettern. Hier war ich richtig!
Von diesem Nachmittag an wurde ich, für die nächsten zwei Wochen, Teil der nordwalisischen Kletterscene. Eine ziemlich coole Socke namens Sam nahm mich sogar für einige Nächte bei sich auf und zeigte mir die Gegend. Einige Monate später besuchte er dann mich und ich zeigte ihm das Frankenjura.
Llandudno, Llanberris Boulders und die Slate Quarries
Wenn man sich erstmal an die komischen Namen der Städtchen gewöhnt hat, wird das aufmerksame Auge des Kletterers alle mögliche Felsen entdecken. Da sich mir Chancen auf Klettern nur in wenigen regenfreien Stunden boten, blieb es mir verwehrt die Gegend ausführlich zu erkunden. Doch eine Bouldersession im Llanberris Pass, zeigte mir durchaus das Potential der Region. Guter Fels, tolle Boulder und coole Leute.
An einem anderen Tag begleitete mich ein Typ namens Mike in die Slate Quarries, einem Steinbruch in dem man vermuten könnte, dass hier Herr der Ringe gedreht wurde. Mike war absolut überzeugt, dass man hier auch bei Regen gut klettern könne. Regnen tat es dauerhaft, und obwohl die Leisten super scharfkantig waren, machte es nicht so viel Spaß, sich an rostigen Ketten im Fels zu sichern, Friends zu legen und dabei mit jeder Minute nasser zu werden. Ich bin jedoch überzeugt, dass man hier bei trockenem Wetter einen riesen Spaß haben kann.
Den hatte ich zumindest an den Kalkklippen am Meer. Einige Male kam ich in den Genuss der dortigen Klettereien, auch wenn ich mehr Zeit gebraucht hätte, um mich vollständig an das Gebiet zu gewöhnen. Extrem scharfe Griffe, relativ beschränkte Kletterzeiten durch die Flut und fast nur schwere Routen machte es mir nicht gerade leicht.
Doch auch wenn sich mir Nordwales von seiner rauen Seite zeigte, bleibt dieser Stopp unvergesslich. Die Gastfreundschaft und das Gemeinschaftsgefühl dieser Gegend und deren Kletterer werde ich nie vergessen.
Ausrüstung
Womöglich habe ich es ja mittlerweile geschafft, den einen oder anderen davon zu überzeugen, mutterseelenallein, in einem klapprigen und alten PKW, fern von Familie, Freunden und mütterlicher Wärme, auf Reisen zu gehen. Nun, würde ich dieser bemitleidenswerten Person vorenthalten, was man unbedingt bei sich haben sollte, wäre es das sichere Verderben! Naja, fast.
Ich hatte das Glück, in meinem Opel schlafen zu können. Damit sparte ich mir zumindest lästiges Aufbauen des Zeltes und konnte zudem so gut wie überall übernachten. Am dankbarsten war ich über einen Kocher mit zwei Flammen, durch eine Gasflasche betrieben. Anständig kochen zu können ist bei so langer Reisezeit ein absolutes Muss. Auch hilfreich war eine Beleuchtung, an die Autobatterie angeschlossen und durch eine Klammer überall zu befestigen. Dazu natürlich das übliche wie ausreichend Kleidung, Essen, und einen Reservekanister Benzin. Ach so, und Campinggas anstelle der deutschen Gasflaschen. Die sind nämlich nur auf deutsche Gasanschlüsse normiert. Mit leerer Gasflasche und keinem passenden Anschluss schaute ich erstmal ganz schön blöd drein, mitten in der Pampa. Was gefehlt hat? Nun, Isomatten ohne Loch wären wohl durchaus komfortabler gewesen.
Ein absolut hilfreiches Utensil um zu trainieren war ein Holzbrett mit einigen Griffen, welches ich an Bäumen für Klimmzüge und etc. aufhängen konnte. Nicht aus der Form zu kommen war bei solch schmackhaftem Ale und Forellen auch bitter notwendig.
Das Peak District
Wenn es in England DAS Klettergebiet gibt, dann ist es mit Sicherheit das Peak District. Diese Hochebene nahe Sheffield bietet eine große Bandbreite an Klettereien. Nicht nur, dass man hier Bouldern und Seilklettern kann, nein auch zwei verschiedene Felssorten trifft man an. Welchen geologischen Hintergrund dies genau hat, entzieht sich meinem Wissen, jedoch kam ich in den Genuss von bestem Sandstein und Kalk. Mein Vater war von jeher fasziniert von diesem Gebiet und so konnte er es sich nicht verkneifen mich dort für einige Tage zu besuchen. Endlich hatte ich für eine längere Zeit einen Seilpartner (und Koch).
Das Klettern und Bouldern im Gritstone ist unvergleichbar. Noch nie zuvor habe ich an derart kompaktem und rauem Sandstein geklettert. Zudem gibt es keine Haken weit und breit, alles ist selbst abzusichern und dadurch noch viel reizvoller. Für mich zumindest. Sehr angenehm ist auch die Tatsache, dass der Fels extrem schnell trocknet. Nicht selten konnten wir, keine halbe Stunde nach einem Regenschauer, wieder einsteigen. Offensichtlich ist Tradklettern dort jedem vertraut, denn auch wenn man in hiesigen Gefilden auf weniger Leute trifft, wenn sich die Bohrhaken verringern, schreckt dort niemand davor zurück.
Auch wenn ich oft sehr ambitioniert bin, wenn es um schwere Klettereien geht, ließen wir es Genussvoll angehen und kletterten einen leichten Klassiker nach dem anderen. Das Topo der Region hat eine Liste an Top 50s und wir gaben unser Bestes, fast alle davon abzuhaken. Zudem verbrachten wir einen Morgen zwischen unglaublichen Felsblöcken und kletterten Boulder wie aus dem Bilderbuch.
Den Kalkstein der Region findet man in den, meist etwas schattigeren, Tälern. Doch oft versüßt das Plätschern eines Baches das Ambiente. Raven Tor und seine extrem schweren Touren sind weithin bekannt. Spätestens seit der Erstbegehung der Tour Hubble (9a) ist dieser Felsriegel der Ort, an dem es sich in England zu messen gilt. Nun, mir gelang zwar eine 9, was meines Wissens aber auch eine der leichtesten Routen dort ist… Trotzdem, Raven Tor hat ein magisches Flair durch seine Geschichtsträchtigkeit.
Nachdem ich meinen alten Herrn wieder zum Flughafen gebracht hatte, verlief meine restliche Reise wieder allmählich gen Karlsruhe. Auch wenn Klettern natürlich einen großen Teil ausmachte, war es für mich extrem wichtig so facettenreich wie möglich zu reisen. England bietet eine unglaubliche Vielzahl an Kulturen, großartige Städte und inspirierende Menschen. Zudem ging ich auch meiner zweiten Leidenschaft, dem Angeln, zu genüge nach. Sich nicht zu sehr auf eine Sache zu beschränken und auf Abwechslung Wert zu legen lässt einen immer hungrig bleiben.
Jakob Mehlretter